Anarchistische Gruppe Mannheim






Die Wahl der Qual
oder: Wahlen ändern nix, sonst wären sie verboten!

Im September erreicht das "Superwahljahr" 2009 seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Wahl des deutschen Bundestages steht an. Millionen Bürger_innen dürfen ihre Kreuze auf dem Wahlzettel machen und damit ihre Stimme abgeben. Und das ist wörtlich zu verstehen, denn in den folgenden vier Jahren wollen die damit legitimierten "Volksvertreter_innen" von ihrem "Wahlvolk" am liebsten nichts mehr hören. Die tatsächlichen Wünsche, Forderungen und Sorgen der Bevölkerung spielen keine Rolle, stattdessen erläutern uns die Gewählten sogenannte Sachzwänge und die angebliche Alternativlosigkeit ihrer Politik. Und dabei ist es nebensächlich, ob nun Schwarz, Gelb, Rot oder Grün "an die Macht" kommt.

Wer wählt überhaupt die zukünftige Regierung?
Wählen dürfen so ziemlich alle volljährigen deutschen Staatsbürger_innen.
Allerdings machen von den wahlberechtigten Deutschen nur etwa 60% ihre Kreuzchen – zumindest bei der Bundestagswahl, sonst sind es oft noch viel weniger.
Darüber hinaus: In Deutschland leben viele Menschen, für die zwar das deutsche Recht und Gesetz gilt, die mangels deutscher Staatsbürgerschaft jedoch von der Mitbestimmung ausgeschlossen sind.
Das Parlament repräsentiert also höchstens die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Folglich spiegeln Parlamentsmehrheiten nicht automatisch die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft wider – was aus staatsbürgerlicher Sicht zur Legitimation des Parlaments und der sich daraus bildenden Regierung aber gegeben sein sollte.

Aber eigentlich spielt das gar keine Rolle!
Unsere parlamentarische Demokratie dient dazu, den gesellschaftlichen Zustand der Herrschaft der Besitzenden zu bewahren.
Dieser Zustand wird gesichert durch Pluralismus (sogenannte Meinungsvielfalt), der einen entscheidenden gesellschaftlichen Gegensatz, den Klassengegensatz, verdeckt. Das heißt, es gibt eine scheinbare Vielfalt von Meinungen (z.B. CDU, SPD, Grüne) – die sich aber alle im Rahmen des bestehenden Systems bewegen. Auf diese Weise wird von der grundsätzlichen Differenz zwischen Besitzenden und denen, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, abgelenkt. Da diese Differenz die Gefahr von Herrschaftskonflikten birgt, die das System in Frage stellen, müssen sie auf systeminterne Führungskonflikte reduziert werden. Das wäre beispielsweise die Ablösung der großen Koalition durch eine schwarz-gelbe Mehrheit.
So wird ein sozialer Friede herbeigeführt, der die Menschen davon abhält, egalitäre Teilhabe einzufordern: gleichen Zugang zu Wissen, Wohlstand, kultureller und sozialer Partizipation.
Mit anderen Worten: Solange es von Gesetz wegen z.B. Tarifautonomie gibt und institutionalisierte Gewerkschaften Arbeitskämpfe führen dürfen (wenn auch nur in engen Grenzen), warum sollten dann Fabriken enteignet werden? Solange wir eine Partei wählen können, die Gesetze gegen Mietwucher erlässt, warum sollten dann Häuser besetzt werden? Solange uns das Grundgesetz Meinungsfreiheit zusichert, warum sollten wir uns gegen deren Garanten auflehnen?

Weitere Mittel zum Erhalt des sozialen Friedens sind die Sozialgesetzgebung, Aufwendungen für Bildung, Wissenschaft, Kultur etc. Mit dem Vorgaukeln von Vielfalt einerseits, dem Hinwerfen von Brosamen andererseits werden also die Menschen dahin manipuliert, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu akzeptieren. In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs gelingt das offensichtlich recht gut, allerdings wurde und wird präventiv trotzdem ein mächtiger Sicherheitsapparat mit dem Ziel der Überwachung und Kontrolle aufgebaut – falls doch mal was schiefgeht.

Und die Krise?
Das globale Wirtschaftssystem ist ein weiteres Mal in der Krise – diesmal allerdings noch heftiger als sonst. Anfang der 1970er hatte die Ölkrise das Ende der Vollbeschäftigung eingeläutet, Ende der 1990er kam es in Ostasien zum großen Bankenkrach, 2000 platzte die sogenannte Internetblase – die aktuelle Krise aber ist die wohl größte seit der Weltwirtschaftskrise von 1929.
Jetzt zeigt sich deutlich, wo die Prioritäten dieses Regierungssystems liegen: Die Parteien schnüren "Rettungspakete" in Milliardenhöhe für Banken und konkursbedrohte, prestigeträchtige Unternehmen. Dabei spielen personelle Überschneidungen zwischen Bundestag und Aufsichtsräten selbstverständlich keine Rolle, sind Staat und Parlament doch "Retter" – schließlich bemühen sie sich um die Weiterexistenz der Unternehmen und Banken. Und damit werden Arbeitsplätze gesichert, würden also Existenzen gesichert, würde den Lohnabhängigen die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand ermöglicht. Denn es gehe ja allen gut, wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht krankt, wird behauptet. Der Kapitalismus wird somit als alternativlose Notwendigkeit gerechtfertigt.
In naher Zukunft (nach der Wahl?!) werden die entstandenen Kosten jedoch bezahlt werden müssen. Die staatliche Finanzierung von "Bad Banks" hat die privaten Verluste sozialisiert, die Gewinne der gestützten Banken bleiben jedoch privat. Der Staat muss sich also verschulden und an anderer Stelle sparen: Bildung, Kultur, soziale Sicherung... Das Angebot an Unternehmen, Kosten durch Kurzarbeit einzusparen, wird ein weiteres Loch in den Staatshaushalt reißen. Da werden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wohl doch wieder erhöht werden – und vielleicht sogar einseitig, wie vor kurzem bei der Krankenversicherung?!
So wird aus der Krise eine massive Umverteilungsaktion von unten nach oben: natürlich alles alternativlos und aus dem Sachzwang heraus... Und wenn das nicht gefällt – dann erfahren wir, was es mit der inneren Sicherheit wirklich auf sich hat. Da kommt Meinungsvielfalt schnell an Grenzen, aber Überwachung und Kontrolle werden groß geschrieben. Parlament und Regierung vertreten also ganz und gar nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern die der herrschenden Klasse.

Unsere Krisenlösung:
Der unterdrückerische, ausbeuterische Kapitalismus muss weg. Damit endlich die Interessen aller Menschen berücksichtigt werden können, muss auch der Parlamentarismus (die Interessenvertretung der Wenigen) abgeschafft werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Stellvertreter_innenpolitik nicht funktionieren kann – die Menschen wissen am besten selbst, was sie brauchen. Daher wollen wir weitestgehende Selbstbestimmung und Selbstorganisation in allen Lebensbereichen: eine auf freier Vereinbarung basierende Gesellschaftsordnung.
Ein Schritt auf diesem Weg ist es, am Wahltag "das große Kreuz" zu machen – also den ganzen Wisch durchzustreichen. Auch ließe sich auf dem Blatt gut erläutern, warum dieser Stimmzettel ungültig gemacht wurde oder oder oder... Hingehen wollen wir allerdings schon und zeigen, was wir von dem Sch... halten. Denn sinkende Wahlbeteiligung führt vielleicht zu einem Rauschen im Blätterwald der Mainstream-Medien, wird aber letzten Endes nur als Meinungslosigkeit dargestellt.

Anarchistische Gruppe Mannheim, August 2009


Die Wahl der Qual – Aufruf der Anarchistischen Gruppe Mannheim zur Bundestagswahl 2009


Weiteres zum Thema:

Parlamentarismuskritik – Schwarze Katze Sonderseite

Yes We Can ... Kapitalismus abschaffen (Antiwahl-Kampagne 2009)

Wir haben keine Wahl! Gegen Wahlen! – Für Selbstorganisation statt Stellvertreter_innenpolitik!

Weitere Informationen zur antikapitalistischen Demo am 26.09.2009 in Mannheim








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VI. Anarchistische Buchmesse Mannheim
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