"Alle Macht den Sowjets, keine Macht den Parteien!" Das war die zentrale Parole der aufständischen Kronstadt-Matrosen gegen das bolschewistische Regime Lenins, Trotzkis, Stalins und anderer. Gerade die Kronstädter Matrosen waren die Speerspitze der Revolution, die letztlich die selbstherrliche bolschewistische Partei nach oben spülte, die vorgab, diese ihr nach dem Sturz der Kerenski-Regierung zugefallene Macht nicht als Partei, sondern namens der Arbeiterklasse auszuüben. Diese Machtausübung sah folgendermaßen aus: Ehemalige Kampfgefährten (Sozialrevolutionäre, Anarchisten und linke Kommunisten) wurden verleumdet, massenweise in die Gefängnisse gesteckt, von der Tscheka ermordet (wie jene 40 Moskauer Anarchisten im Jahr 1918) oder – wie ehedem unter dem Zarismus – in die unwirtlichsten Gegenden Rußlands verbannt; die Gewerkschaften wurden dem Staat unterstellt, das Rätesystem in den Betrieben, Kommunen und Bezirken entweder gänzlich abgeschafft oder dermaßen zurückgedrängt, so daß sie kaum noch irgendwelchen Einfluß auf die Entwicklung hatten. Doch bereits einige Monate nach der Oktoberrevolution kam es sogar innerhalb der Kommunistischen Partei Russlands zu heftiger Kritik an der allgemeinen Politik der Partei. Diese Opposition wurde sehr bald unterdrückt und durch Fraktionsverbot mit brutalsten Sanktionen belegt. Opposition aber gab es auch über die Parteigrenzen hinaus. So existierte in Rußland beispielsweise Anfang 1921 die Gruppe “Arbeiteropposition”, es gab im ganzen Land Streiks und Arbeiter- und Bauernunruhen. Das waren die Verhältnisse, in die auch die Bevölkerung Kronstadts hineingerissen war und stärksten Widerstand gegen das Regime der Bolschewiken leistete. Kronstadt selbst war eine militärisch befestigte Insel, die der 1914 von Sankt Petersburg in Petrograd umbenannten Hauptstadt zum Schutz dienen sollte. Die Bevölkerung Kronstadts umfaßte damals etwa 50.000 Menschen. Es waren vor allem die Mannschaften der baltischen Flotte, Soldaten der Garnisonen, einige Tausend Werftarbeiter, Offiziere, Beamte, Handwerker, Angestellte und deren Angehörige, die die Bevölkerung ausmachten. Die Kronstädter waren stets in sehr hohem Maße revolutionär gesinnt: Es kam mehrfach zu gegen den Zaren und später gegen die Kerenski-Regierung gerichtete Meutereien und Revolten. In Erinnerung an die niedergemetzelte Pariser Kommune riefen die Kronstädter 1917 die "Kommune von Kronstadt" aus. Und es war der Kronstädter Panzerkreuzer “Aurora”, von dem aus die Matrosen den Startschuss für die Oktoberrevolution gaben, und es waren die Matrosen von Krontadt, die die wichtigsten strategischen Punkte der Hauptstadt Petrograd besetzten. "Die Matrosen von Kronstadt sind der Stolz und Ruhm der russischen Revolution." schrieb Trotzki, jener oberste Befehlshaber und Befehlsgeber der Roten Armee, der im März 1921 die erbitterten Widerstand leistende Kronstadter Kommune niederkartätschen ließ. Die Matrosen waren die fortgeschrittensten Elemente der russischen Gesellschaft; sie entstammten überwiegend der Arbeiterklasse und hatten vielfach schon vor 1917 Kontakt zu revolutionären Gruppen. Nur wenige Jahre waren die Bolschewiki bereits an der Macht, als sie schon fast allen Kredit bei der russischen Bevölkerung verspielt hatten. Viele hatten sich von der Revolution und dem 1920 zuende gegangenen Bürgerkrieg eine grundlegende Besserung besonders der sozialen Lage erhofft und dass die erduldeten Einschränkungen während des Bürgerkrieges aufgehoben würden. Aber genau das Gegenteil tat die KP Russlands (die nachmalige KPdSU). So konnte es schließlich nicht ausbleiben, dass überall im Lande der Unmut über die soziale Lage und Willkürherrschaft der allesbeherrschenden Partei stetig wuchs. Das wiederum hatte zur Folge, dass jeder, der seine Rechte zu verteidigen suchte, von jedem x-beliebigen Parteimitglied als "konterrevolutionär" diskriminiert werden konnte, was für den Betroffenen schlimmste Folgen haben konnte. Die Partei selber wurde immer mehr zu einem Hort von Karrieristen, deren Interesse eher an politischer Macht und Ver- und Begünstigungen zu liegen schien als an der Rettung der Revolution und der Umsetzung ihrer Ziele. Selbst in Trotzkis Roter Armee gärte es. Auslöser der Kronstädter Rebellion waren Streiks in Petrograd. Für die Petrograder Arbeiter wurde die Versorgungslage immer schlechter, viele Familien hungerten. Viele Fabriken waren geschlossen worden, Versammlungen in den Betrieben wurden von der Regierung unterdrückt. Zur gleichen Zeit wurde jedoch bekannt, daß Parteimitglieder in den Betrieben mit Kleidern und Schuhen versorgt worden waren. Ausländischen Kapitalisten wurden Zugeständnisse gemacht, nicht aber den Arbeitern gegenüber. Da viele Angehörige der Kronstädter in Petrograd wohnten, hatten die Kronstädter enge Beziehungen zu Petrograd und waren dadurch über die Petrograder Lage genauestens informiert. Die sogenannte "Arbeiter- und Bauernregierung" beantwortete die Demonstrationen der Petrograder Arbeiterschaft regelmäßig mit der militärischen Niederschlagung. Allerdings verweigerten sich sehr viele Soldaten der Petrograder Garnison, auf die demonstrierenden Arbeiter zu schießen und wurden deshalb entwaffnet. Die ersten Petrograder Streiks begannen am 24. Februar 1921. Am 26. Februar wurde die Streikbewegung während der Sitzung des Petrograder Sowjets von Parteirednern angegriffen und die Streikenden als “selbstsüchtige Arbeitsschinder” und "Konterrevolutionäre" beschimpft, die nur zur Unzufriedenheit aufhetzen würden. Die Arbeiter eines großen Werkes, die mehrheitlich zur Streikbewegung standen, wurden ausgesperrt und die Fabrik geschlossen. Dadurch wurde die Belegschaft ihrer Lebensmittelrationen beraubt. Dies alles und weiteres brachte die Petrograder Arbeiterschaft in noch größere Feindschaft gegen die Partei. Erste Proklamationen des Petrograder Sowjets wurden in den Straßen geklebt, in denen es unter anderem hieß: "Eine vollständige Änderung der Regierungspolitik ist notwendig. Zu allererst brauchen die Arbeiter und Bauern Freiheit. Sie wollen nicht nach den Dekreten der Bolschewiki leben, sie wollen selbst über sich verfügen. Genossen, (...) verlangt entschieden und auf organisierte Weise: Freilassung aller verhafteten Sozialisten und parteilosen Arbeiter. Abschaffung des Kriegsrechts; Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit für alle Arbeitenden. Freie Wahl von Werkstatt- und Fabrikkomitees und (...) Sowjetvertretern." Die Regierung beantwortete diese Forderungen mit Verhaftungen und Repression. Petrograd wurde am 28. Februar unter “außerordentliches Kriegsrecht” gestellt. Große Mengen an vor allem regierungstreuem und zuverlässigem Militär wurden zur Einschüchterung der Arbeiter nach Petrograd abkommandiert. Als die Nachrichten über die Streiks Kronstadt erreicht hatten, schickten die Kronstädter Matrosen eine Delegation nach Petrograd, um sich ein klares Bild von der dortige Lage zu machen. Aufgrund der Schilderung der Delegation verfaßten und verabschiedeten daraufhin die Besatzungen zweier Panzerkreuzer eine Protrestresolution, in der sie sich mit den Petrograder Forderungen solidarisierten. Von der Parteipresse wurde behauptet, aus der Resolution mit ihren Forderungen nach Freiheit aller politischen Gefangenen der sozialistischen Organisationen und Arbeiter, Rede- und Pressefreiheit für Arbeiter, Bauern, Anarchisten und andere Linke, Abschaffung der Bevormundung durch die Partei, Neuwahlen zu freien Sowjets ohne Vorherrschaft irgendwelcher Parteien, usw. spräche der Geist der reaktionären, klerikalmonarchistischen "Schwarzhunderter", die besonders in den jahren von 1905 bis 1909 in Russland mit Wissen nund Duldung des Zaren zahlreiche antisemistische und antisozialistische Pogrome inszenierten. Am 1. März 1921 wurde eine öffentliche Versammlung, an der über 16.000 Kronstädter teilnhmen, einberufen, um über den Bericht der Delegation zu den Ereignissen und der Lage in Petrograd zu beraten. Die Resolution der beiden Panzerkreuzerbesatzungen wurde einstimmig angenommen. Sie verlangte nichts weiter als die Verwirklichung der ursprünglichen Revolutionsziele. Es wurde auch beschlossen, erneut Delegierte nach Petrograd zu schicken, um die Petrograder einzuladen, ihrerseits parteilose Delegierte nach Kronstadt zu entsenden. Die Delegation nach Petrograd wurde verhaftet. Über ihr weiteres Schicksal herrscht bis heute tieftes Dunkel. Die mehr als berechtigten Forderungen der Arbeiter wurden seitens der Regierung wie in alten zaristischen Zeiten mit Repression beantwortet. Die Lenin/Trotzki-Regierung kannte nur als einziges Argument, die Armee aufmarschieren und die protestierenden Arbeiter zusammenschießen zu lassen. Für eine staatskommunistische Regierung kommt, wie es der Stalin-Anhänger Mao Tse Tung einmal formulierte, "die politische Macht aus den Gewehrläufen". Die Kronstädter Resolution wurde unter anderem auch von der Marinefliegerdivision in Oranienbaum unterstützt. Diese Division wurde deshalb von der Tscheka verhaftet und 45 ihrer Angehörigen am 3. März erschossen. Dabei war in Kronstadt kein einziger Tropfen Blut geflossen. Das dort am 2. März gegründete "provisorische Revolutionskomitee" war sehr darum besorgt, daß "kein Blut vergossen wird". Das war auch der bolschewistischen Regierung bekannt, die sich darum aber einen Dreck scherte. Sie zog weitere Truppen zusammen, um in konterrevolutionärer Weise sich des Kronstädter "Problems" mit militärischer Gewalt zu entledigen. In Petrograd ließ die Regierung durch die Tscheka Familienangehörige der Kronstädter als Geiseln nehmen. Auch über deren Schicksal ist bis heute nichts bekannt. Am 3. März erließ das Petrograder “Verteidigungskomitee” der Regierung einen Befehl, der mit den Worten endete: "Bei Ansammlungen auf den Straßen sollen die Truppen von der Waffe Gebrauch machen. Bei Widerstand erfolgt standrechtliche Erschießung.” Am 5. März gelang es der Parteiführung, den Petrograder Streik weitgehend zu beenden, indem sie auf ein paar Forderungen der Streikenden einging. Eine sofortige Ausgabe von Lebensmitteln, aber auch repressive Maßnahmen und organisierte Desorientierung sorgen für die Ruhigstellung des Großteils der Massen. Von Petrograd aus richtete Trotzki an die Kronstädter Bevölkerung folgendes Ultimatum: "Die Regierung der Arbeiter und Bauern ist entschlossen, Kronstadt und die Schiffe unverzüglich wieder unter die Verfügungsgewalt der Räterepublik zu stellen. (...) Nur wer sich bedingungslos ergibt, kann auf die Gnade der Sowjetrepublik hoffen (...)" Ansonsten würde er sie "wie Rebhühner abknallen" lassen. Die Kronstädter, die nach der Februar- und der Oktoberrevolution endlich den Sozialismus verwirklichen wollten, waren sich durchaus bewusst, dass sie militärisch gegen die Übermacht von Trotzkis Roter Armee nicht siegen konnten, und bauten deshalb auf die Solidarität der Arbeiterklasse. Sie waren davon überzeugt und proklamierten: "Unsere Sache ist eine gerechte: Wir treten ein für die Macht der Sowjets, nicht die der Parteien. Wir treten ein für freigewählte Vertreter der arbeitenden Massen. Die Ersatzsowjets (...) von der Kommunistischen Partei (...) blieben immer unseren Bedürfnissen und Forderungen gegenüber taub; die einzige Antwort, die wir je erhielten, war schießen (...)." Aber sie waren isoliert. Am 7. März begann die Rote Armee ihren Sturm auf Kronstadt. Tagelange Beschüsse und Bombardierungen folgten. Die Bolschewiki zogen immer neue Einheiten zusammen, die entweder aus entlegenen Gegenden stammten (um eine Fraternisierung zu verhindern) oder sehr zuverlässig waren. Im Rücken der Regierungstruppen standen die Einheiten der Tscheka, die Desertierende erschossen. Viele Bataillone verweigerten den Befehl, ganze Kompanien und Regimenter liefen zu den Aufständischen über. Über eine Woche dauerte die Angriffswelle, bis es am 16. März 1921 der Roten Armee gelang, in die Stadt Kronstadt einzudringen. Dort leistete die Bevölkerung allerdings noch 2 Tage lang Widerstand, so daß der Großteil der Aufständischen nach Finnland fliehen konnte. Nach dem Aufstand von Kronstadt wurde die Flotte neu organisiert. Viele Mitglieder der Baltischen Flotte wurden an das Kaspische Meer oder auf Marinestützpunkte in Sibirien verlegt. Rund 15.000 Matrosen wurden entlassen. Nach der materiellen Vernichtung Kronstadts wurde somit auch noch sein revolutionärer Geist in der Flotte zunichte gemacht. Der Zerschlagung der Kronstadt-Kommune musste schließlich die parteidoktrinäre Verbannung des "Stolzes und des Ruhmes der russischen Revolution" in die Geschichtslosigkeit folgen. Und hier zeigten sich die Bolschewiki als gelehrige Schüler ihrer Altmeister Karl Marx und Friedrich Engels. So wie diese ehedem die Anarchisten verleumdeten und mit Dreck besudelten, so griffen auch die Bolschewiki zu den Mitteln der Verleumdung und Diskreditierung der ehemaligen Vorkämpfer der Revolution. Da wurde dann schon vor und vor allem nach der Niederwerfung Kronstadts manche Legende erfunden, um das Handeln der Bolschewiki zu rechtfertigen, die Tatsachen zu verschleiern und die Macht der Partei zu sichern. Diese Legenden über die "konterrevolutionären" Kronstädter, über ihre angebliche Abwendung von der Revolution werden auch heute noch in parteikommunistischen Kreisen gerne kolportiert. Eine andere Legende aus Trotzkis Ideenschmide besagt, dass die Baltische Flotte durch die Rekrutierung von Bauern konterrevolutionären Einflüssen ausgesetzt gewesen sei. Da geht doch wohl der Schuss nach hinten los! Denn wer war denn für die Rekrutierung der Truppen verantwortlich? – Ja sogar die Meuterei der Matrosen gegen den Zaren war plötzlich "konterrevolutionär"! Derlei Schmähungen gibt es haufenweise. Der ehemalige "Stolz und Ruhm der Revolution" wurde so in die Vergesenheit zu zwingen versucht. Wer allerdings glaubt, dass Kronstadt ein einmaliger Ausrutscher der Bolschewiki gewesen sei, der werde an die Machnobewegung erinnert: Ähnlich wie mit Kronstadt verhält es sich nämlich auch mit der Machno-Bewegung, die ein Gebiet befreit hatte, in dem etwa 2 Millionen Menschen ohne die Herrschaft der Weißgardisten und der Bolschewiki lebten und der nach eigenen Angaben etwa 200.000 Menschen angehörten. Diesen eigenen Weg konnten die Bolschewiki ihnen allerdings nicht zugestehen. Selbst wenn die Bolschewiki mit Kronstadt und der Machnowtschina der russischen Revolution auf grausame Art endgültig den Garaus machten, so bleibt für uns heute immer noch die Frage nach der Bedeutung der Kronstadt- und der Machnow-Bewegung für uns heute. Beide Bewegungen stehen für uns – ähnlich der Pariser Kommune – für einen Sozialismus, der statt auf geschriebenen Gesetzen und Verordnungen und Militär auf Inititive, Kraft und Kreativität der Unterdrückten und Regierten in ihrem Kampf um Befreiung von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung baut. Johannes K. F. Schmidt |
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